Some Guy hat geschrieben: ↑27.06.2020 12:20
Darum geht es gerade auch, dass dort teils zu wenig bis gar nichts passiert. Als alter Starcraft 2 Fan fand ich vor allem alles um den Streamer Avilo extrem erschreckend. Da wurde jetzt auch nochmal die ganze Geschichte von einer seiner Opfer aufgerollt - im Grunde das Bilderbuch einer Beziehung mit einem Narzissten, nur dass es nie eine Beziehung gab. Fängt mit sexuellen Nötigungen via Chat an, geht dann über in Penisbilder und Videochats wo masturbiert wird - oben drauf Drohungen wenn mit anderen Personen Kontakt gehalten wird und das ganze gipfelte sogar in richtiges RL stalking. Reaktion der Polizei war nicht sonderlich viel, der Kerl kann immer noch frei damit weitermachen und streamt glücklich auf Youtube (nur Twitch hat ihn gesperrt). Spätestens wenn im RL aufgelauert wird müsste da doch viel mehr passieren.
Zugegeben ist sowas im Internet schnell mal eine Hexenjagd wo man nur eine Seite der Medaille sieht, aber wer die Person und seine Streams aus der Szene kennt kann sich da schon seinen Teil denken. Fand das sehr erschreckend zu lesen, wie selbst mit Polizeieingreifen und Verurteilungen nichts passiert.
Natürlich sollte etwas passieren, wenn jemand einen stalkt und nötigt. Das ist doch keine Frage. Aber dieses pauschale "da passiert zu wenig", ist eben das. Einfach pauschal. Das ist doch keine Wahrheit, sondern nur etwas, was man empfindet nach dem man eine Geschichte gelesen hat. Diese Dinge passieren im Internet. Es gibt über 190 Länder auf der Welt, mit tausenden Bundesstaaten, zehntausenden von Städten und entsprechend vielen Behörden. Was sagt das also aus, wenn ich nun einen Fall habe, wo meiner oder deiner Empfindung nach zu wenig passiert? Ich weiß ja nicht mal wo dieser Fall, von dem du berichtest, eigentlich passiert ist.
Das Problem bei diesem ganzen Thema ist, dass es sich um zwischenmenschliche Konflikte handelt, in denen es zu Straftaten gekommen ist oder zu Straftaten gekommen sein kann. Dabei gibt es auch für Behörden überall immer Grenzen und die existieren wiederum aus guten Gründen. Es ist überhaupt nicht auszuschließen, dass in bestimmten Fällen eine Behörde versagt hat oder dass ein Justizsystem oder die Politik versagt aber davon kann ich nicht einfach von vorneherein ausgehen, genausowenig davon dass alle Anschuldigungen stimmen. Und genau das macht es schwierig, solche Dinge vor ein großes Publikum zu bringen. Das ist es ja schon vorher gewesen. Ganz ohne Social Media ist es bereits für alle Seiten in so einem Konflikt nicht einfach, Presse und Demonstrationen vor Gerichtssälen gab es ja schon vor dem Internet. Ich halte es aber nicht gerade für einen besonders konstruktiven Faktor.
Mal ein anderes Beispiel: Die Netflix-Doku Tiger King. Über zig Folgen wird da über den Konflikt einer Gruppe Tierparkbetreiber berichtet und eine Folge dreht sich dabei fast nur darum, dass eine womöglich ihren Mann umgebracht hat. Was ist das Ergebnis? Wann immer man etwas dazu liest, folgen Kommentare mit eben dieser Anschuldigung. Nicht etwa weil hier ein tatsächlich nennbares Versagen vorliegen würde, sondern weil man eine Dokumentation aufbläst und sich nicht zu schade ist in ein Territorium von reiner Spekulation und Hörensagen abzugleiten. Das Ergebnis ist, dass ein Mensch in den Augen eines Publikums, das eigentlich absolut keine Ahnung hat, zu einem Mörder wird und über Jahre und vielleicht länger, ein Mörder bleiben und genannt werden wird.
Und bei all diesen Fällen sieht es nicht anders aus. Menschen berichten ihre Erfahrungen, posten Beweisfotos, machen Anschuldigungen und es gibt ein Publikum, was nun ohne Struktur, ohne Moderation, außerhalb jedes Gerichtssaals vor diese scheinbaren Tatsachen gestellt wird und ein Urteil fällen soll. Ich persönlich sehe es schon kritisch, wenn Zeitungen und Medien über Kriminalität berichten, da es immer wieder in tendenziöser Weise passiert. Entsprechend noch kritischer sehe ich es, wenn der Prozess einen Hashtag bekommt.