… und das alles nur wegen der Beschlagnahme von
Wolfenstein 3D (AG München, Beschl. v. 25.01.1994, Az. 2 Gs 167/94) und eines unsäglichen Urteils des OLG Frankfurt a.M. (Urt. v. 18.03.1998, Az. 1 Ss 407/97). Auch für Computerspiele ist § 86a Abs. 3 StGB anzuwenden, gem. dem Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwendet werden dürfen, wenn dies u.a. der Kunst dient. Diesen Absatz hatten die Gerichte damals seinerzeit nämlich schlichtweg ignoriert, was uns die ganzen Eskapaden um entsprechende Symbolik in Computerspielen hierzulande bis heute einbringt.
Das es sich bei Spielen rechtlich per se um Kunstwerke handelt, ist dabei auch zweifelsfrei. Das BVerfG hat insg. drei weite Kunstbegriffe formuliert, gem. derer Kunst von "Nicht-Kunst" abgegrenzt werden können soll (ich zitiere etwas freier aus meiner Dissertation*):
(1) Nach dem formalen, typologischen Kunstbegriff ist das Wesentliche eines Kunstwerkes, "daß bei formaler, typologischer Betrachtung die Gattungsanforderungen eines bestimmten Werktyps erfüllt sind […]." Das Gericht selbst exemplifizierte, dass "Tätigkeit und […] Ergebnisse etwa des Malens, Bildhauens, Dichtens" [BVerfGE 67, 213 (226)] per se Kunst seien. Die Werke der sog. schönen Künste, d.h. Musik, Literatur, bildende (z.B. Malerei, Grafik, Bildhauerei, Architektur, Fotographie) und darstellende Kunst (z.B. Theater, Tanz), sind infolge dessen zweifellos Kunst i.S.d. Art. 5 Abs. 3 GG. Ungeachtet dessen, dass die ausschl. Orientierung an Phänotypen etablierter Kunst die für die Kunst so typische, wie essentielle Avantgarde ignorieren könnte (MEIROWITZ 1993: 163), so dass der skizzierte Kunstbegriff auch nur eine hinreichende, nicht aber notwendige Bedingung des Kunstcharakters eines Werkes sein kann, sind bspw. Spielfilme nicht nur (wie bspw. auch die Oper) regelmäßig ein Konglomerat der diversen etablierten Kunstgattungen, sondern genuine Werke bildender Kunst. Dasselbe gilt natürlich auch für Computerspiele, die per se nicht nur als Konglomerate der diversen etablierten Kunstgattungen, sondern als intrinsische Kunstwerke einer eigenen Kunstgattung anzuerkennen sind.
(2) Nach dem sog. offenen (zeichentheoretischen) Kunstbegriff ist das Wesentliche eines Kunstwerks, "dass es wegen der Mannigfaltigkeit ihres Aussagegehaltes möglich ist, der Darstellung im Wege der fortgesetzten Interpretation immer weiterreichende Bedeutungen zu entnehmen, so dass sich eine praktisch unerschöpfliche, vielstufige Informationsvermittlung ergibt [...]." [BVerfGE 67, 213 (227)] Aus einer konstruktivistischen Perspektive, d.h. im Lichte der Polymorphie und -semie der Medieninhalte, resp. der generellen Multidechiffrierbarkeit derselben i.V.m. mit der Subjektivität, resp. der Produktivität der Rezipienten (WINTER 1995), ist das für Conmputerspiele (wie für jede Kommunikation) aber per se der Fall. Ungeachtet dessen wurde aber bereits davor gewarnt, dass dem offenen Kunstbegriff eine "versteckte Qualitätsbeurteilung sowie der Ausschluß jeglichen fehlgeschlagenen künstlerischen Bemühens" inhärent sein könnte und zudem auch die Gefahr bestehe, "daß derzeit noch unverständliche avangardistische Kunst ausgenommen bleibt, da sie mangels Verständnisses keine vielstufige Informationsvermittlung entfalten könne." (MEIROWITZ 1993: S.165) Insofern kann auch die Erfüllung dieser Kunstbegriffmerkmale abermals nur eine hinreichende, nicht aber notwendige Bedingung für die Feststellung des Kunstcharakters eines Werkes sein.
(3) Letztlich sind die diskutierten Spiele auch i.S.d. ältesten der Kunstbegriffe, des materiellen Kunstbegriffs, per se Kunst: Nach diesem Kunstbegriff soll das Wesentliche eines Kunstwerks die "freie schöpferische Gestaltung" desselben sein, "in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewussten und unbewussten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers." [BVerfGE 30, 173 (188)] Auch das wird einem Computerspiele (ob Auftragsarbeit oder Indiespiel) nicht in Abrede gestellt werden können. Vielmehr wirken bei modernen Computerspiele regelmäßig eine Vielzahl von Beteiligten (Schreiber, Musiker, Grafiker etc.) in freier schöpferischer Gestaltung (natürlich im Rahmen bestimmter Zielvorgaben des Endprodukts) an der Verwirklichung derselben mit.
In der Literatur werden zwei weitere Indizien für die Feststellung des Kunstcharakters eines Werkes diskutiert: Erstens die subjektive Selbstdefinition des Grundrechtsträgers als Künstler, resp. seines Werks als Kunst. Dass der Grundrechtsträger sich selbst nicht als Künstler, resp. sein Werk nicht als Kunstwerk definiert, ist aber im Umkehrschluss natürlich kein Indiz für den fehlenden Kunstcharakter eines Werkes. Zweitens die Anerkennung durch kunstsachverständige Dritte: Auch hier wird aber vor diesbzgl. Problemen gewarnt, wie z.B. der "Auslieferung an Vorurteile Dritter, begrenzten Sachverstand, Irrtümer von Experten, Orientierungslosigkeit in der Kunsttheorie […]." (MEIROWITZ 1993: 167) Dass es sich bei beiden Zugriffen nur um solche von indizieller Bedeutung handeln kann wird klar, "will man den Kunstbegriff nicht durch Schaffung eines subjektiven Definitionsmonopols für juristisch unbrauchbar erklären." (ERDEMIR 2000: 24)
Computerspiele sind damit letztendlich eine intrinsische Kunstgattung und infolge dessen auch generell und nicht nur ausnahmsweise – wie in der Literatur regelmäßig und auch noch ohne Beispiele berhauptet wird – von der Kunstfreiheit erfasst. Mithin sind auch kaum oder gar keine Spiele denkbar, die nicht erfasst sein könnten. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch insofern die Medieninhalte gewaltdarstellend sind, negiert das grundsätzlich nicht ihren Kunstcharakter: "Die Kunstfreiheit umfaßt auch die Wahl eines jugendgefährdenden, insbesondere Gewalt [...] thematisierenden Sujets sowie dessen Be- und Verarbeitung nach der vom Künstler selbst gewählten Darstellungsart." [BVerfGE 83, 130 (147)] Tatsächlich ist Gewalt ja auch bereits seit der Antike ein integrales, ja zentrales Sujet der Kunst. Die Anerkennung des Kunstcharakters darf auch nicht als bspw. nur (vermeintlich) trivialer Kommerz o.ä. von verfassungsrechtlich unzulässigen (und insg. überlegenheitsdünkelnden) Stil-, Niveau- u./o. Inhaltskontrollen u./o. gar nur der Beurteilung (vermeintlicher) bspw. jugendbeeinträchtigender, -gefährdender oder sozialschädlicher Wirkungspotenziale der Werke abhängig gemacht werden [BVerfGE 75, 369 (377); 81, 278 (291); 83, 130 (138)].
Lange Rede, kurzer Sinn: Wann hat endlich mal ein Rechteinhaber die Eier und sorgt für klare Verhältnisse, indem er ein Spiel wie
South Park: The Stick of Truth oder
Wolfenstein: The New Order unzensiert hierzulande veröffentlicht und auf sein Recht pocht? Bei Filmen funktioniert es ja (dank der genannten Sozialadäquanzklausel in §§ 86 Abs. 3 und 86a Abs. 3 StGB) auch... unfassbare Zustände hier. Aber Hauptsache die verantwortlichen dürfen den Laien hierzulande vorgaukeln, sie müßten(!) ihre Spiele zensieren. Wer sitzt da eigentlich in deren Rechtsabteilungen? :-/
* Portz, Patrick (2013): Der Jugendmedienschutz bei Gewalt darstellenden Computerspielen – Mediengewaltwirkungsforschung, Jugendschutzgesetz, Gewaltdarstellungsverbot & Moralpanik. Online: <
http://darwin.bth.rwth-aachen.de/opus/v ... 2013/4847/>, Stand: 05.03.2014.