Das Spiel ist gut, wenn man Spaß daran hat, 10.000 in der Welt verstreute "Geheimnisse" zu sammeln oder 10.000 gesichtslose Gegner mit einem halbgaren Kampfsystem zu bearbeiten. Wem das spaßig erscheint, dem sei der Spaß auch gegönnt.
Nur mit einem "echten" Rollenspiel der Marke Baldurs Gate oder auch des eigenen Großvaters Dragon Age Inquisition hat das wenig zu tun. In einem Videospiel-RPG geht es um Charakterentwicklung (hier darf man den Teammitgliedern nicht mal Statpunkte verteilen), Erzählung inkl. Konsequenzen (die hier schlicht im Wirrwarr der großen Welt mit all den belanglosen Nebenaktivitäten untergeht) und um ein ausgefeiltes Kampfsystem (das hier einfach nur Mittelmaß ist ohne wirklich eigene Stärken zu haben).
Wie die ganzen hervorragenden Wertungen zustande kommen, ist schnell erklärt. Zum einen vergleichen scheinbar viele das Spiel mit dem direkten Vorgänger, aber weniger mit Origins. Und da DA2 recht wenig Inhalt hatte, wird Inquisition für seinen sehr großen Inhalt gefeiert. Nur aus was dieser Inhalt genau besteht, wird scheinbar selten hinterfragt. Wenn ein Spiel zu 80-90% aus belanglosen Lieferquests oder der Suche nach dem nächsten Sammelgegenstand besteht, dann ist irgend etwas gewaltig schief gelaufen beim Gamedesign. Während Origins und sogar DA2 noch mit erzählerischer Dichte aufwarten konnten, in denen Haupt- und Nebenquests zur Entfaltung von Story und Charakteren gedient haben, so scheint es in Inquisition die größte Zeit des Spiels um simples Abarbeiten von belanglosen Aufgaben zu gehen - der furchtbar mathematische Open-World Ansatz eines Assassin's Creed oder Watch_Dogs lässt grüßen. Zum anderen ist natürlich die Konkurrenzsituation vor allem auf den Konsolen eher bescheiden. Nach einem Party-RPG der Marke Inquisition kann man dort lange suchen. Auf dem PC sieht das anders aus und hier sind die Fans von tiefgehenden RPGs auch anderes gewöhnt bzw. erwarten auch etwas anders oder sogar "mehr" von RPGs.
So, ist Inquisition nun ein "gutes" Spiel? Das hängt natürlich von der Perspektive und vom eigenen Ansspruch ab. Auf dem PC ist das Spiel imo eine einzige Enttäuschung. In keinem wirklich wichtigen Aspekt erreicht das Spiel auch nur ansatzweise den eigenen Seriengroßvater: das Gameplay ist schlechter mit deutlich reduziertem Taktikanteil, die Menüführung bzw. der Nutzerkomfort umständlicher und konsoliger, die Story dröger, seichter und weniger fokussiert, die Charaktere langweiliger und strominienförmiger, das ganze Spielerlebnis zerstückelter.
Inquisition wirkt wie ein Spiel, in dem man sich einen Kritikpunkt von DA2 heraus gegriffen hat und sich an das Ausmerzen desselben gemacht hat, ohne zu überlegen, was das für Konsequenzen für das gesamte Spiel haben könnte. Bioware hat im Zuge dessen einen kapitalen Fehler gemacht, den schon viele andere zuvor gemacht haben (was es noch unverzeihlicher und unverständlicher macht): man hat auf Teufel komm raus eine große Spielwelt erstellt, ohne sie - gerade in einem RPG - mit gehaltvollem Inhalt zu füllen (und nein, sammelbare Gegenstände und Lieferquests sind kein gehaltvoller Inhalt).
Ja, Inquisition hat eine große Spielwelt und eine tolle Optik. Aber macht es das zu einem guten Spiel? Oder gar zu einem guten story-getriebenen RPG, vor allem auf dem PC? Ich denke nicht, denn das ist nicht das, was früher einmal die Stärken von Bioware waren und die zu solch großartigen Spielen wie Baldurs Gate 2, Kotor oder DA Origins geführt haben. Diese Spiele hatten ihren Fokus auf taktischem Gameplay, erzählerischer Dichte mit vielen Freiheiten und einer Fokussierung auf klassische CRPG-Tugenden. Inquisition ist leider nichts davon. Es ist imo leider ein Spiel "made for console mainstream", irgendwo zwischen Assassin's Creed, Skyrim und Dragon Age 2 zu verordnen, wovon es sich jeweils Elemente herausgepickt hat, ohne darauf zu achten, was eigentlich die Stärken der jeweiligen Spiele waren und wie diese im Zusammenspiel verschiedener Elemente umgesetzt wurden. Stattdessen hat man sich - ganz nach EA Manier - ein Spiel zusammengekleistert, dass alle Trends der letzten Jahre irgendwie (und das ist das Traurige daran) vereinigt. Leider hat man im Zuge dessen nicht nur die eigenen Kompetenzen und Stärken früherer Spiele reduziert oder gar wegfallen lassen, sondern im gleichen Zuge auch noch vergessen, neue Stärken einzubauen.
Inquisition ist ein 1A Beispiel, was im AAA Geschäft momentan so schief läuft. Auch wenn es viele Fans (noch) nicht sehen wollen und einfach nur froh sind, dass es wieder eine DA gibt, so ist das kein wirkliches Dragon Age mehr, sondern ein auf Biegen und Brechen auf Mainstream getrimmtes Spiel, das niemanden ausschließen soll und alle Trends beinhalten soll - aber damit auch keinerlei Identität oder eigene Kompetenz mehr hat.
Als PC Spieler bin ich nur froh, dass es Kickstarter und Indies gibt. Firmen wie Obsidian, Inxile und Larian Studios führen die Traditionen alter RPGs fort und geben - sorry - einen Scheiß auf neue Trends, um sie koste es was es wolle, in ihre Spiele zu integrieren. Ganz im Gegenteil, sie wissen um ihre Stärken und sie wissen, dass Fokussierung oftmals die besten Spiele macht, auch wenn man eventuell nur ein Nischenpublikum anspricht. Aber ist es nicht besser, eine kleiner Gruppe von Spielern richtig froh zu machen als eine sehr große Gruppe von Spielern nur so ein bisschen zufrieden zu stellen? Ist es das, was wir uns für zukünftige RPGs wirklich wünschen? Ich für meinen Teil warte da lieber auf Spiele wie Pillars of Eternity, die einen klaren Kurs und eine klare Zielgruppe haben. Inquisition spiele ich vielleicht auch mal zwischendurch, aber nach allem was ich bisher gelesen und gesehen habe, wird das Spiel nie ein Klaissiker werden. Im Gegenteil, in ein paar Jahren wird man es schlicht vergessen haben, zumindest in der PC Community. Auch dann wird es immer noch Origins sein, von dem man nostalgisch schwärmen wird...
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Edit: An alle, die hier mit Metacritic-Vergleichen aufwarten: das ist absoluter Unfug. Nur weil einer großer Anzahl von Leuten etwas gefällt, muss es ALLEN gefallen? Wenn also 99 Leute Salamipizza geil finden, muss es auch der 100. geil finden, weil es die Durchschnittswertung so vorschreibt? Sorry, aber ihr habe ein sehr seltsames Verständnis von Spieletests...
Vielleicht sollt man einfach mal drüber nachdenken und akzpetieren, dass unterschiedliche Leute verschiedene Ansichten, Meinungen und Erwartungen haben. Herr Luibl hat DA Inquisition offenbar recht wenig Spaß gemacht und er hat seine Gründe dafür sehr ausführlich dargelegt. Daran gibt es nichts zu rütteln. Es steht jedem frei, völlig anderer Meinung zu sein, aber trotzdem sollte man die Meinung anderer auch einfach mal akzeptieren und tolerieren. Ich persönlich finde es gerade gut, wenn es auch mal abweichende Meinungen zu einem Thema gibt, die gut dargelegt sind. Es ist schlicht und einfach so, dass nicht jedes Spiel jedem gefällt, selbst wenn es so konsequent auf Mainstream ausgelegt ist wie Inquisition. Man einen gefällt nämlich auch genau DAS nicht...