Ryan2k6 hat geschrieben: ↑02.08.2019 08:58
DEMDEM hat geschrieben: ↑02.08.2019 05:12
Um Crunchzeiten vernünftig vorzubeugen, müsste man den Arbeitsmarkt deregulieren, sprich Richtung Einschränkung Arbeitnehmerrechte gehen.
Na du bist ja ein Arbeitgeberfreund. Also alle Errungenschaften der letzten Jahrzehnte einfach mal so zurücknehmen, damit der arme AG leichter planen kann und Überstunden vermieden werden?
So wie ihr immer salopp behauptet, dass ein AN doch einfach gehen kann, behaupte ich jetzt, dass es verdammt noch mal der Job des AG ist Projekte so zu planen, dass man sie mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen unter Einhaltung der Arbeitsschutzgesetze schafft. Wenn er das nicht kann, ist er eben ein schlechter AG und sollte seinen Laden dicht machen.
Natürlich gibt es immer mal Projekte die am Ende knirsch sind und man vielleicht etwas länger macht um der Firma zu helfen. Aber das muss 100% freiwillig geschehen, sprich niemand darf verurteilt werden, der das nicht macht. Außerdem muss das ausgeglichen werden und vor allem darf es nicht über zig Monate oder bei jedem Projekt so laufen. Dann stimmt einfach etwas nicht in dem Laden.
Und gerade eine Firma wie R*, die den Leuten mit GTAO das Geld aus der Tasche zieht, darf solche Probleme einfach nicht haben, die haben mehr als genug Geld um genügend Leute einzustellen oder zum Projektende zu holen, damit niemand dort monatelang crunchen muss. Stattdessen wollen sie lieber mehr Gewinn reinholen und quetschen ihre Mitarbeiter aus, weil bei R* kündigt man ja nicht, ist ja toll fürs CV und außerdem ein Traumjob...
Du interpretierst jetzt was in meine Aussage, was nie da gewesen ist. Es ging um die Behauptung, dass mehr staatliche Regulierung gegen Crunch helfen sollen - das ist faktisch falsch. Eines der Gründe für Crunch sind in Deutschland nämlich unter anderem die teilweise zu straffen Bedingungen für Einstellungen, vorallem bei kurzfristigen Einstellungen in Zusammenhang mit einem leergefegten Arbeitsmarkt. Wenn man also von staatlicher Seite aus was da machen will, wäre das einzige Werkzeug die Deregulierung. Und Deregulierung heißt nicht automatisch komplett den ganzen Arbeitnehmerschutz aushebeln, aber es gibt Bereiche, wo man die Linien etwas weicher zeichnen kann.
Nehmen wir mal alleine die maximale Arbeitszeit in Deutschland, die ist gesetzlich bei 10h und 45min (inklusive Pause) angesetzt. Was vorallem während des Crunches zu zwei Problemen führen kann und führt: es wird auf die Pause verzichtet, um mit dem Arbeitsdruck zurecht zu kommen, oder es wird komplett entgeldlich über die gesetzlich erlaube Arbeitszeit gearbeitet, was viele von uns, mir eingeschlossen (vorallem in der Anfangszeit) gemacht haben. Das sind dann keine Überstunden, denn diese Stunden hätte man erst gar nicht arbeiten dürfen.
Hier könnte man einfach mal etwas flexibler werden, hier würde zum Beispiel auch der Arbeitnehmer von profitieren. Denn ich bin von dieser gesetzlichen Einschränkung sehr wohl betroffen. Ein Gesetz, das mich in erster Linie eigentlich schützen soll, aber mich mehr belastet als es schützt.
Und das ist nur ein Fall, wo man etwas deregulieren kann, Das wird nicht gegen Crunches helfen, aber es hilft den Arbeitnehmer damit besser umzugehen.
Usul hat geschrieben: ↑02.08.2019 09:17
Natürlich! Und daß die Deregulierung uns nur Vorteile bringt, haben die letzten 20+ Jahre auch eindrucksvoll gezeigt, nicht nur in der Arbeitswelt, sondern vor allem im Finanzsektor.
Oh wait...
Von welchen Deregulierungen in den letzten 20+ Jahren sprichst du denn genau? Präzisiere es. Denn gerade in den letzten 20 Jahren haben wir hier in Deutschland eine Regulierung nach der anderen erlebt. Gesetze, die zum Schutz, zum Beispiel vor Überstunden, oder Unterbezahlung eingeführt wurden, haben die Situation konsequent nur verschlechtert. Der MIndestlohnsektor in Deutschland ist der Größte in ganz Europa, mehr Menschen als je zuvor arbeiten unterm gesetzlichen Mindestlohn, die Überstunden nehmen in Deutschland nur zu und egal, was der Gesetzgeber macht, es verschlechtert die Situation nur. Und das mit Ansage.
SethSteiner hat geschrieben: ↑02.08.2019 11:40
Ja wie Usul schon meinte, wie Deregulierung aussieht haben wir ja schon gesehen. Mit soetwas muss man schon ziemlich vorsichtig umgehen, das geht sehr leicht nach hinten los. Unternehmen nutzen potentiell jede Möglichkeit, wenn sie irgendwie Gewinn verspricht, unabhängig davon ob dieser Gewinn dann am Ende ausbleibt oder ob moralisch oder ethisch vertretbar ist. Arbeitnehmerrechte einzuschränken um Arbeitnehmer zu schützen (vor Crunch), klingt entsprechend potentiell wie ein Wolf der Kreide gefressen hat.
Und wenn es an der Praxis scheitert, weil man eben doch nicht so gut plant, wie wärs denn mal damit, dass die Firma eben Pleite geht? Ich weiß, klingt immer ganz schrecklich, Leute werden arbeitslos aber auf der anderen Seite, das ist Kapitalismus. Irgendwie soll der immer zu lasten der Arbeitnehmer gehen aber der Arbeitgeber? Nein ausgeschlossen, die Firmen müssen erhalten bleiben! Dabei sagst du es ja selbst, ein leergefegter Arbeitsmarkt, ist also nicht so schlimm, wenn auf diesem Markt mal was gegen die Wand fährt, dann wird Platz frei für was neues.
Ansonsten wie wäre es denn mal mit deutlich größeren Einschränkungen was Überstunden angeht? Mir sind Überstundenkonten im 100er Bereich keineswegs unbekannt und auch die Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Man schafft es ja auch, dass soetwas bei studentischen Arbeitskräften bspw. nicht oder deutlich seltener vorkommt, dann sollte das wohl auch bei den festen Mitarbeitern funktionieren.
Aha, also wenn etwas in der Praxis nicht klappt und es deswegen zu crunches führt und Mitarbeiter Überstunden machen müssten, würdest du es vorziehen, dass die Firma pleite geht und die MItarbeiter arbeitslos sind? Läuft ja bei dir.
Du hast einfach keine Vorstellung davon, was in der Planung alles schief gehen kann. Um mal ein paar Beispiele zu nennen: bei uns im Unternehmen wird eigentlich immer versucht auch eine studentische Hilfskraft einzustellen. Das Tolle mit denen: du kannst eine einstellen, mit dem dann fest planen, aber es kann trotzdem und es wird passieren, dass er erst gar nicht zum Dienstantritt erscheint, weil er entweder das Studium komplett geschmissen hat (in den meisten Fällen), er eine andere Stelle für sein Praktikum gefunden hat und dem Unternehmen nicht bescheid gibt etc.
Auch haben wir schon erlebt, dass das Visum einer unserer Kollegen nicht verlängert wurde und er ist mittem im Projekt ausgefallen. Wie willst du dagegen planen? Oder der Visum-Antrag zieht sich hin, weil unsere Behörden im schneckentempo arbeiten und am Ende wird er auch noch abgelehnt und das Unternehmen steht mit runtergelassenen Hosen da. Wie willst du da planen?
Und zu den Überstunden habe ich ja schon was geschrieben. Die Überstunden sind in Deutschland nur am wachsen, Gesetze haben bisher keinen Erfolg gehabt und werde es auch nicht, stattdessen fallen mittlerweile "Überstunden" unter dem Teppich, das sind Erfahrungen aus meinem direkten Umfeld. Und bevor du überhaupt auf den Gedanken kommst, dass dann halt Kontrollen eingeführt werden müssen, damit Unternehmen das nicht ausbeuten: zumindest unser Unternehmen ist strickt gegen die Verletzung des Arbeitsschutzes, wenn man als Arbeitnehmer erwischt wird, wie man über seine Zeit arbeitet hat das eine fristlose Kündigung zur Folge. Und trotzdem machen es Arbeitnehmer, nicht weil sie vom Unternehmen dazu durch Druck gezwungen werden, sondern aus komplett eigenen Gründen. Es reicht schon, wenn die Post mal an einem Tag aus was für Gründen auch immer vier Stunden später in der Firma ankommt, das kann schon zu Frust und Überstunden führen, etwas das komplett außerhalb unserer Hand ist.
Manche denken sich ja auch, dann muss man halt Schluss machen, wenn die 10h 45min überschritten sind, aber das ist dann auch nur aufgeschobene Arbeit. Die Arbeit wartet dann ja auf einen trotzdem am nächsten Tag und muss erledigt werden.
Ich kann diese tollen ideen zum "Schutz von Arbeitnehmer" einfach nicht mehr hören, weil sie zumindest in meinem Arbeitsumfeld auch für viel Frust gesorgt haben. Vorallem die neue vom Betriebsrat und Gewerkschaft "erkämpfte" neue Betriebvsvereinbarung ist bei uns so ein richtiges Hassthema.
Ich würde mir einfach mal endlich wünschen, dass wenn irgendwelche Heinos auf die Idee kommen wieder Gesetze oder Vereinbarungen zu beschließen, die betroffene Gruppe auch mal konsultiert wird.