Kommentar: Luxus in der Krise

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Sharkie
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Re: Kommentar: Luxus in der Krise

Beitrag von Sharkie »

Balla-Balla hat geschrieben: 22.03.2020 11:17 Die Freiheit einzuschränken, ist übrigens das Wunschziel jeder Regierung, rechts, links oder sonstwas. Freiheit der Menschen stört die Macht. Somit ist gerade in einer Ausnahmesituation wie dieser besonders aufzupassen, wozu, warum und wie lange die Freiheitsrechte der Bürger eingeschränkt werden sollen.

[...]

Wenn ich für mich diese Zeit zum Nachdenken nutze, komme ich zum Schluss, dass wir nach wie vor eine unfähige Regierung haben, die die Chance nutzt, sich nun unverhältnismäßige Machtmittel zu sichern und auf deren Aussagen man sich nicht verlassen kann.
Es ist ein gesellschaftlicher Grundkonsens, dass die Freiheit des Einzelnen da aufhört, wo er beginnt, die Freiheit anderer einzuschränken bzw. ihnen zu schaden. Letzteres ist schlicht der Fall, wenn eine Person, die (erstens aufgrund der sehr langen Inkubationszeit bei gleichzeitig extrem hoher Ansteckungsgefahr, zweitens aufgrund der großen Varianz der Symptome) überhaupt nicht wissen kann, ob sie infiziert ist und somit für andere Menschen potenziell eine Gefahr darstellt, ganz normal den Kontakt zu anderen Menschen sucht, am Besten noch in großen Ansammlungen.

Wenn so eine Person (also aufgrund der oben beschriebenen Charakteristika des Coronavirus prinzipiell jeder) jetzt primär darauf pocht, sich trotzdem so frei und kontaktfreudig zu bewegen, wie sie es auch sonst tut, dann blendet sie die Gefahr, die ihr Verhalten auf struktureller wie individueller Ebene mit sich bringt, aus. Das ist purer Egoismus. Denn es ist nunmal nicht Alltag, es ist Krise. Wenn ein signifikanter Anteil der Bevölkerung dies nicht rafft und sich so verhält, dass er mit seinem Verhalten die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass das Virus sich schneller verbreitet (was, das muss man hoffentlich nicht extra betonen, u.a. bedeutet, dass mehr Menschen sterben), dann sollte eine Gesellschaft halt Regularien erlassen, die solche Trottel in die Schranken weisen. Denn die Gefahr ist real und akut, weswegen ihr schnell und möglichst effektiv begegnet werden muss. Was ja überhaupt nicht ausschließt, nach der Bewältigung der Krise umso bestimmter für einen raschen Wiederabbau der Einschränkungen einzutreten.

Balla-Balla hat geschrieben: 22.03.2020 11:17 Was mich noch ein bissl nervt in deinem post, ist deine Aussage was "wir" nun mal wieder alles sollen. Kann man nicht mal das deutsche oberlehrerhafte weglassen und die Dinge, die einem persönlich wichtig sind, dann einfach selbst umsetzen, statt sie von anderen zu fordern? Du sprichst von "unserem Verhalten", das sich ändern müsse. Das impliziert dich und mich, ja, dann ändere dein Verhalten eben, was hindert dich daran? Ich kenne dich nicht, vielleicht tust du es ja. Allerdings kennst du auch mich nicht, wie kommst du darauf, dass du die Weisheit gepachtet hast und mir vorschreiben kannst, dass ich mein dir unbekanntes Verhalten ändern müsse?
Siehe oben. Die Coronakrise ist nicht die individuelle Angelegenheit von irgendwem. Sie ist ein Problem, das die gesamte Gesellschaft (bis hin zur Ebene der internationalen Staatengemeinschaft) betrifft und nur auf gesellschaftlicher Ebene gelöst werden kann. Es gibt klare Empfehlungen von Fachleuten (womit an dieser Stelle nicht Politiker, sondern vielmehr Mediziner, Forscher und Volkswirtschaftswissenschaftler gemeint sind), dass Einschränkungen des öffentlichen Lebens sinnvoll und notwendig sind. Da kann man nicht einfach sagen "Du siehst das so, ich seh das aber anders, deswegen rede mir nicht in mein persönliches Verhalten rein". Bzw. wenn man es täte, dann wäre das schon bemerkenswert egozentrisch angesichts einer Lage, in der Gesundheit und Leben von Millionen von Menschen bedroht sind.
Doc Angelo
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Re: Kommentar: Luxus in der Krise

Beitrag von Doc Angelo »

ChrisJumper hat geschrieben: 22.03.2020 17:05 Niemand will den Ernst der Lage beschönigen aber wenn man versucht ein wenig auf zu muntern. Dann umschreibt man es halt so wie in dem Kommentar. Ein wenig wie positiv nach vorne Blicken und der Sache etwas abzugewinnen.
Ich kann verstehen, wenn der Vergleich mit dem Krieg als eine Form von Beschönigung verstanden wird. Natürlich kann es immer schlimmer kommen, aber es kann auch immer besser sein. Richtig ist auch, das wir nicht um unsere Kinder fürchten müssen und das es keine "Kriegsfront" gibt, aber richtig ist auch, das wir an der "Front" in den Krankenhäusern um unsere Großeltern fürchten müssen.

Wer nicht sowieso die ganze Zeit in einem großen Generationenhaus lebt, der sollte auf keinen Fall seine Großeltern besuchen. Denn die "Bombe", vor der sich Enkel und Großeltern fürchten sollten, das sind die Enkel selbst.

Keine Frage, man kann die Zeit zum Spielen nutzen. Aber ob wir in einem Jahr an 2020 zurück gucken und uns positiv daran erinnern, das wir auf Grund von einem Mangel an Optionen und fehlendem Material und Personal die Gesellschaft auf Stop schalten mussten, weil sonst zu viele Menschen sterben? Wir machen das ja nicht freiwillig. Es ist wie es ist weils anders nicht geht.

Man darf nicht vergessen: Es werden viele Menschen an dem Virus sterben. Der Stillstand verringert die Zahl zwar, aber hält weder die Verbreitung auf noch ändert es etwas an der grundlegenden Letalität der Krankheit etwas. Es sorgt dafür, das die Verbreitung nicht zu schnell fortschreitet und gibt damit Zeit und Material um diejenigen überleben zu lassen, die sich davon erholen können - und das sind definitiv nicht alle, sondern noch weniger als bei der normalen Grippe.

ChrisJumper hat geschrieben: 22.03.2020 17:05 @Gesichtselfmeter:
"..zerstört der Virus keine Wohnhäuser und Infrastruktur. ".

Doch tut er, Menschen, Unternehmen, Existenzen.
Es geht bei dieser Aussage um die physikalischen Resourcen. Unternehmen und Existenzen sind nur dann bedroht, wenn man die Existenz dieser physikalischen Resourcen nicht angemessen anerkennt und unangebracht mit der Lage umgeht.
Zuletzt geändert von Doc Angelo am 22.03.2020 18:07, insgesamt 3-mal geändert.
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Re: Kommentar: Luxus in der Krise

Beitrag von Gesichtselfmeter »

ChrisJumper hat geschrieben: 22.03.2020 17:05
@Gesichtselfmeter:
"..erstört der Virus keine Wohnhäuser und Infrastruktur. ".

Doch tut er, Menschen, Unternehmen, Existenzen. Erwachsene Menschen mit Ausbildung oder ältere Menschen mit Lebenserfahrung, die fallen nicht mal eben für den Null-Preis aus den Wolken. Als Beispiel auch die Ärzte, Pflegepersonen die sich jetzt vielleicht dank fehlendem Mundschutz infizieren und sogar dran sterben könnten. Die sind auch nach der Kriese erst mal weg.
Im großen und Ganzen fand ich deinen Beitrag aber sehr gut und gehe konform.
Mit Infrastruktur meinte ich aber tatsächlich Straßen und im weitesten Sinne Produktionsketten für die Grundversorgung.
Ja, Du hast natürlich Recht - Existenzen im Sinne von beruflichen Existenzen sind weltweit in Großem Maße bedroht, aber genau deshalb hatte ich mich Docs optimistischer Haltung angeschlossen, da man ja gerade jetzt wirklich zwischen primären und sekundären Bedürfnissen trennen muss.

Meine gewagte Hypothese lautet halt: theoretisch könnten wir fast alle länger zu Hause bleiben, natürlich bei gewissen Einschränkungen unseres Lebensstandards, weil andere Wirtschaftszweige eine immense Nachfrage erleben werden.

Wenn z.B. Mieten eingefroren wären, der Staat die Versorgung mit Lebensmitteln übernimmt, könnte jeder der darüber hinaus etwas leistet sich ja etwas zu dieser Form des uneingeschränkten Grundeinkommens dazuverdienen.
Sagen wir z.B. ich verliere meinen Job, würde aber gerne im Herbst eine der neuen Konsolen kaufen, dann wäre ich mir nicht zu schade für diesen Luxus beim Aldi, Rewe, Lidl,etc. Regale einzuräumen, sofern diese Leistungen gemessen an den Umständen neu bewertet wird und nicht wie noch vor Jahren mit 6,5-7€/Stunde brutto.

Ich kenne z.B. einen Aldi-Filialleiter, und die haben jetzt seit Wochen Weihnachtsumsätze aber schlicht kein Personal, also sofern wir die Grundregeln des Marktes von Angebot und Nachfrage weiter verfolgen, sollten sich hier durchaus Perspektiven ergeben.
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Progame
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Re: Kommentar: Luxus in der Krise

Beitrag von Progame »

An alle, die jetzt glauben, dass die Krise ne Lehre sein wird und das Gutmenschentum einen Aufschwung erlebt:
Fürn Arsch. Ich darf daran erinnern, dass der 2. Weltkrieg noch keine 100 Jahre her ist und was hat der Mensch daraus gelernt? Das wär heute wieder genauso möglich.

Wer interessiert sich denn für die Schwächsten, die Menschen in Flüchtlingslagern, Länder mit schwacher medizinischer Ausstattung? Merkel hat selbst gesagt, dass dies gerade nicht diskutiert wird.

Wir brauchen Beatmungsgeräte, wir brauchen Tests, wir brauchen Medikamente - und das zuerst mal für uns.
Wenn dann noch was übrig bleibt, kommen die anderen.

Die Welt ist und wird keine veränderte sein. Ich klage das auch gar nicht an, denn das ist die Wirklichkeit.
Schlimm ist nur, sich vorzumachen, dass die inhärente Minderwertigkeit der Konzeption des Seienden gar keine ist.
Zuletzt geändert von Progame am 23.03.2020 05:01, insgesamt 2-mal geändert.
Gesichtselfmeter
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Re: Kommentar: Luxus in der Krise

Beitrag von Gesichtselfmeter »

An eine "Lehre" glaube ich persönlich nicht. Man kann stundenlang über Werte diskutieren, aber am Ende des Tages hat der Mensch ein inhärentes Grundmaß an Vernunft,den man im Prinzip durch den Selbsterhaltungstrieb erklären kann.
Dieses Maß an Grundvernunft haben auch Tiere - ein Löwe wird auch keinen Elefanten angreifen.

Wir haben während des 2. Weltkrieg den Fortschritt so stark angetrieben um eine Ungleichgewicht der Kräfte zu erreichen, dass wir dadurch am Ende eine Pattsituation erreicht haben. Ohne Atombombe wäre der 3. Weltkrieg ohne Zweifel keine 10 Jahre nach dem 2. ausgebrochen. Aber, die Einsicht war da, dass es mit so einer Waffe und kontrollierbaren Nebeneffekten keinen echten Gewinner geben kann. Wäre diese These falsch, würden wir hier wohl nicht miteinander kommunizieren.

Ähnlich könnte es nun dem wirtschaftlichen "Wettrüsten" ergehen...

The American way könnte am Ende dieser Krise dann tatsächlich ein Auslaufmodell sein, so wie die Monarchien nach dem 1. Weltkrieg. Das sage ich aber ganz klar ohne anti-amerikanischen Pathos, sondern schaue nüchtern auf die Zahlen:
wer jährlich 700 Milliarden fürs Militär ausgibt und am Ende möglicherweise aufgrund des schwachen Gesundheitssytems die Bürger nicht vor Pandemien schützen kann, verfolgt ein -um es mal trumpesque zu formulieren- schwaches Business-Modell. Das wäre so als, als wenn man im Mittelalter Schutzgeld an einen Ritter abdrückt, dieser aber nicht mal in der Lage ist sich selbst gegen eine aggressive Ziege zu verteidigen. Ob Demokratie oder Diktatur - der grundsätzliche Bund zwischen Ländern und Bürgern ist ein Leistungsvertrag und eine große Komponente davon ist der Schutz.
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Re: Kommentar: Luxus in der Krise

Beitrag von CritsJumper »

Brannigan hat geschrieben: 22.03.2020 18:52 An alle, die jetzt glauben, dass die Krise ne Lehre sein wird und das Gutmenschentum einen Aufschwung erlebt:
Fürn Arsch.
Verstehe wirklich nicht warum du das so negativ siehst. Menschen verbessern die eigene Lebenssituation durch Kooperation mit anderen seit Jahrzehnten. Klar es ist nicht Fair jemanden als Werkbank der Welt unterbezahlt auszunutzen. Aber China profitiert davon und sie haben eine ganze Menge Einfluss dadurch gewonnen. China macht das nicht aus Nächstenliebe sondern natürlich auch wie andere große Player mit Berechnung und politischem Einfluss.

Aber diese Krise, wird genau wie die Finanzmarkt-Krise Mechanismen etablieren, welche in Zukunft mehr Stabilität bringen. Vielleicht überlegen die Engländer und Amerikaner in Zukunft ob sie nicht doch auch in Zukunft mehr Gelder in die Gesundheitssysteme stecken. Denn mit einfachen Verordnungen kann man sich als Staat darum kümmern das bestimmte Bereiche nicht durch Unternehmen ausgelagert werden, einfach weil geopolitische Interessen und Sicherheiten eine Rolle spielen. Bei den Banken z.B. diese Stresstests und das verbieten von bestimmten Algorithmen beim High Speed Trading und Investment mit KI-Support. Das löst zwar oft keine gesellschaftlichen Probleme, macht aber bestimmte Bereiche weniger Anfällig. Wie bei Hygienestandards in Lebensmitteln usw.

Aus dem zweiten Weltkrieg haben die wenigsten gelernt, weil sie sich halt auch heute selten für überregionale Politik interessieren oder für Politik im allgemeinen. Die Sorgen im Alltag sind für die meisten einfach noch zu groß, als das sie Zeit für anders finden. Das ist aktuell mit Corona nicht besser geworden, aber ich behaupte mal, wenn man Zuhause bleiben muss hat man oft mehr Zeit da mal drüber nach zu denken, wobei natürlich nur wenn man sich Zeit nimmt und nicht immer von den neuen Medien ablenken lässt. Gut ich glaube ich sollte es zurück nehmen.

Gut möglich das die Familien bei denen ich das Beobachtet hab und die mir per Videochat berichtet haben wie ihr Alltag läuft, letztlich eine Ausnahmesituation darstellen.

MMOs, Coop Gams, Wirtschafssimulationen und so weiter.. machen halt Online in der Gruppe Spaß, das hilft bei dem Zuhausebleiben und ist dank #Stayathome aktuell ein wertvoller solidarischer Beitrag.
Doc Angelo hat geschrieben: 22.03.2020 17:56 Keine Frage, man kann die Zeit zum Spielen nutzen. Aber ob wir in einem Jahr an 2020 zurück gucken und uns positiv daran erinnern, das wir auf Grund von einem Mangel an Optionen und fehlendem Material und Personal die Gesellschaft auf Stop schalten mussten, weil sonst zu viele Menschen sterben? Wir machen das ja nicht freiwillig. Es ist wie es ist weils anders nicht geht.

Man darf nicht vergessen: Es werden viele Menschen an dem Virus sterben. Der Stillstand verringert die Zahl zwar, aber hält weder die Verbreitung auf noch ändert es etwas an der grundlegenden Letalität der Krankheit etwas. ...
Nun wenn die Oma und Opa noch nicht zu alt sind, kann man mit ihnen per Videochat ein Spieleinrichten und Online auch zusammen spielen.

Bei dem Stillstand bin ich eher positiv. Ich denke man kann durch Disziplin durchaus dem Virus trotzen, dennoch ist das keine Lebensqualität auf Dauer. Doch wenn die Menschen gelernt haben das eine Verhaltensform sicher oder hinreichend sicher ist, geht es in den Alltag über und es werden nur noch Randgruppen infiziert, weil alle anderen den neuen Richtlinien folgen. Bei der Essenszubereitung haben wir es zum Beispiel gelernt das waschen und kochen, förderlich sein kann damit man einen dauerhaften Nutzen zieht, was dann so übergeht in die Gewohnheit das man es immer macht. So kommt man dann durch den Alltag, eines Tages wir das auch mit Corona so sein, vielleicht auch erst mit einem Impfstoff, aber ich denke schon vorher weil wir Menschen zu ungeduldig sind.

Bisschen so wie die meisten Menschen auch nicht mehr auf Trickbetrüger rein fallen oder Spam (Lawinensysteme, Enkel-Trick, Nigeria Connection, Weiterleiten von Kettenbriefen etc..).
Zuletzt geändert von CritsJumper am 22.03.2020 21:42, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Kommentar: Luxus in der Krise

Beitrag von Sinthuria »

Ich finde es bedauerlich dass sich Politik und Medien nicht damit auseinandersetzen was die gegenwertige Situation an sonstigen notständen und Leid verursacht.
Für alle die allzuleicht und vehement nach weiteren Maßnahmen rufen, sollte ich einmal erklären wie es gerade in meinem Berufsalltag so aussieht. Ich leite in unserer Einrichtung den Fachbereich Ambulant Betreutes Wohnen für Menschen mit einer psychischen Erkrankung. Wir unterstützen in unserem Versorgungsgebiet ca 220 Menschen und sind auch nicht der einzige Anbieter gehren aber zu den größten für diesen Personenkreis. Ich selbst arbeite mit einem kleinen teil selbst noch in der Praxis um den blixk nicht dafür zu verlieren, womit meine Mitarbeiter täglich konfrontiert sind, um ein Vertändnis dafür zu behalten was für die Praxis wichtig ist.

In der jetzigen Situation arbeiten wir mehr oder weniger im Blindflug und haben mit zahlreichen Schwierigkeiten zu kämpfen.

Ich muss einerseits die Arbeit komplett umstrukturieren. Maßnahmen ergreifen die das Weiterarbeiten ermöglichen und gleichzeitig alle Beteiligten so gut wie möglich schützen. Maßnahmen zu ergreifen Mitarbeiter und klienten soweit zu separieren, dass im Falle einer Infektion nicht der ganze Fachbereich unter Quarantäne gestellt wird. Das heißt aber auch kreative Wege der Leistungserbringung zu entwickeln. Das habe ich mit meinem Team auch getan. Das Problem was wir haben ist folgendes. Vieles steht so nicht im Leistungskatalog oder in der Zielvereinbarung der klienten. Ich weiß nicht was ich von dem was wir aktuell tun auch refinanziert wird. Der Kostenträger das Land Niedersachsen (seit 2020 vorher war es die Kommune).

Zudem wird es so langsam schwierig meine Mitarbeiter ausreichend zu schützen. Das Desinfektionsmittel reicht noch bis Mitte nächster Woche. und wir gehören laut Behörde nicht zu der systemrelevanten Berufsgruppe. Das heißt ich werde wohl nichts nachbekommen.

Das bringt auch noch andere Probleme mit sich. Ich habe mit der zuständigen Gesundheitsaufsicht gesprochen, wie es sich mit einer Entschädigung verhält, wenn ein Mitarbeiter unter Quarantäne gestellt wird und ausfällt. Da gibt es auch noch strenge Auflagen. Ich muss nachweisen, dass er bei der ausübung ausreichend geschützt war, das Risiko durch den Arbeitgeber minimiert wurde. Mitte nächster woche stehe ich vor dem Dillemma. Lasse ich weiter arbeiten oder schicke ich alle nach hause. 220 Menschen wären dann unversorgt. Unsere Einrichtung kann dann eigentlich komplett dicht machen. Denn ohne behördliche Anordnung den Betrieb einzustellen gibt es dann auch wiederum keine Entschädigung. Anspruch auf schutzmasken oder einem Test bei einem Verdacht haben wir auch nicht. Unsere Klienten denen es fast allen sehr schlecht geht haben auch keine Möglichkeit zur krisenintervention ins Krankenhaus zu gehen. Nur die akuten notfälle, die nach PsychKG zwangseingewiesen werden, bekommen noch ein Bett. Nun hat die sparkasse angekündigt nächste Woche ihre schalter zu schließen. wir haben aber einige Klienten, die können sich das Geld nur am Schalter abholen. wie das für die weiter geht wissen wir auch nicht. Die Tafeln haben ebenfalls geschlossen. Ich habe für unsere Klienten schon ein Krisentelefon eingerichtet um auch nacht um am wochenende dazu sein. Wir wechseln uns im kollegenkreis ab. Ob ich das finanziert bekomme, weiß ich nicht. Der Sozialpsychiatrische Dienst der kommune hat sich auch weitgehend abgeschottet. Ist nur telefonisch zu erreichen und mach nur in gut begründeten Fällen eine Ausnahme.

Aber auch andere Einrichtungen mit denen wir kooperieren haben schier unlösbare Probleme. Der Tagesaufenthalt für Obdachlose fährt nur noch ein Notprogramm für eine begrenzte Anzahl an Obdachlosen (nach Anordnung der Behörden). Viele fallen daraus. Da dort aber viele Obdachlose postalisch gemeldet sind und diese sich um ALG II oder Grundsicherungsleistungen zu erhalten besteht folgendes Problem. Um die existenssichernden Leistungen vom Amt zu erhalten müssen sie sich drei mal pro woche im Tagesaufenthalt melden und eine Unterschrift zu leisten. Tun sie das nicht werden sie abgemeldet und erhalten keine Leistungen mehr. Zurzeit können das viele also nicht mehr. Die Behörden haben aber noch keine Antwort auf die frage gegeben, ob diese Menschen denn nun weiter ihr Geld bekommen. Wir bekommen einfach keine Antwort.

Das ist zurzeit mein beruflicher Alltag.

Noch ein Nachtrag: Viele unserer Klienten werden die Maßnahmen auf Dauer nicht einhalten können. Diesbezüglich habe ich auch mit dem Gesundheitsamt gesprochen. Für diese Menschen werden wohl freiheitsentziehende Maßnahmen eingeleitet. Sie kommen aber wahrscheinlich nicht in das zuständige psychiatrische Krankenhaus sondern in die Forensik. Darüber berate man noch. Und mit dem wissen müssen meine mitarbeiter und ich unseren Klienten täglich unter die augen treten. vielleicht könnt ihr euch eine vorstellung machen, wie sehr wir unter Druck stehen. Lange hält das keiner von uns durch.
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Re: Kommentar: Luxus in der Krise

Beitrag von Doc Angelo »

ChrisJumper hat geschrieben: 22.03.2020 21:20 Bei dem Stillstand bin ich eher positiv. Ich denke man kann durch Disziplin durchaus dem Virus trotzen, dennoch ist das keine Lebensqualität auf Dauer. Doch wenn die Menschen gelernt haben das eine Verhaltensform sicher oder hinreichend sicher ist, geht es in den Alltag über und es werden nur noch Randgruppen infiziert, weil alle anderen den neuen Richtlinien folgen. Bei der Essenszubereitung haben wir es zum Beispiel gelernt das waschen und kochen, förderlich sein kann damit man einen dauerhaften Nutzen zieht, was dann so übergeht in die Gewohnheit das man es immer macht. So kommt man dann durch den Alltag, eines Tages wir das auch mit Corona so sein, vielleicht auch erst mit einem Impfstoff, aber ich denke schon vorher weil wir Menschen zu ungeduldig sind.

Bisschen so wie die meisten Menschen auch nicht mehr auf Trickbetrüger rein fallen oder Spam (Lawinensysteme, Enkel-Trick, Nigeria Connection, Weiterleiten von Kettenbriefen etc..).
Ich kann dir da nicht so wirklich folgen. Alle Maßnahmen, die gerade angewendet werden, sind nicht dafür gedacht, das weniger Leute infiziert werden. Es wird so gemacht, damit nicht alle gleichzeitig infiziert werden. Oder anders gesagt: Damit die Verbreitung der Krankheit langsamer von Statten geht und wir eine Überlastung des Gesundheitssystems vermeiden.
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Re: Kommentar: Luxus in der Krise

Beitrag von Doc Angelo »

Brannigan hat geschrieben: 22.03.2020 18:52 Wer interessiert sich denn für die Schwächsten, die Menschen in Flüchtlingslagern, Länder mit schwacher medizinischer Ausstattung? Merkel hat selbst gesagt, dass dies gerade nicht diskutiert wird.
Das wird noch interessant, wie damit in Zukunft umgegangen wird. Relativ kurz nachdem von sehr vielen die Aussage getätigt wurde, das es "keine Obergrenze" gäbe, wird eine Grenze in einem empfindlichen System einer Gesellschaft auf die Probe gestellt, und das auch noch in dem Moment, wo die Flüchtlingssituation ihren katastrophalen Höhepunkt erreicht.

Da bin ich gespannt wie die Gesellschaft in Zukunft an solche Themen rangeht.
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Re: Kommentar: Luxus in der Krise

Beitrag von Progame »

Sinthuria hat geschrieben: 22.03.2020 21:32 Ich finde es bedauerlich dass sich Politik und Medien nicht damit auseinandersetzen was die gegenwertige Situation an sonstigen notständen und Leid verursacht. [...]
Danke für den ausführlichen Beitrag.
Im Prinzip findet ja jetzt schon eine gesellschaftliche Triage (Selektion) statt, wo unterschiedliche Bereiche in ihre Wichtigkeit eingeteilt werden, wie dein Bericht eindrucksvoll beschreibt.

Es wird immer gesagt, ein solcher Zustand sei, weil unmenschlich, zu vermeiden. Aber er ist Realität.
Viele dieser Menschen in deiner Einrichtung haben sicher Eltern, Geschwister, Angehörige.
Deren Verantwortung ist gefordert und ich finde, viele deiner Klienten (sofern einigermaßen stabil) sollten zu Angehörigen gehen und dort versorgt werden. Das könnte zu einer Entlastung führen.
Zuletzt geändert von Progame am 23.03.2020 00:22, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Kommentar: Luxus in der Krise

Beitrag von Chibiterasu »

Sinthuria hat geschrieben: 22.03.2020 21:32 Ich finde es bedauerlich dass sich Politik und Medien nicht damit auseinandersetzen was die gegenwertige Situation an sonstigen notständen und Leid verursacht.
...
Möchte ich mich auch dafür bedanken, dass du dir die Mühe für den Post gemacht hast. Es war interessant zu lesen und sich ein Bild über eure Situation zu machen.
Groß was sagen dazu kann ich leider nicht.
Ich hoffe die Behörden kommen euch da irgendwie entgegen.
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Re: Kommentar: Luxus in der Krise

Beitrag von Sinthuria »

Das mit den Angehörigen ist meist kaum möglich. Viele haben keinen Kontakt zu ihnen, weil psychische Erkrankungen oft zu solchen Kontaktabbrüchen. Oder viele unserer Klienten sind Infolge von Traumata erkrankt. Traumata wie frühkindlicher oder kindlicher sexueller Missbrauch innerhalb der Familie (und nein das meiste kam nie zur Anzeige), Misshandlungen usw. Für diese Gruppe ist es zurzeit besonders schwer. Die jetzige Situation wirkt für sie bedrohlich. Die Bedrohungsituation macht dann auch das erlebte Traumata wieder allgegenwärtig. Und wie bereits geschrieben. Krankenhaus geht nur noch in Akutsituationen nach PsychKg. Die Grenzen dfür sind aber sehr eng gefasst. A
Psychotherapeuten haben auch fast alle dicht.
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Re: Kommentar: Luxus in der Krise

Beitrag von c452h »

Gesichtselfmeter hat geschrieben: 22.03.2020 16:34 Ist es ok, dass ein Montanablack sich den dritten Lambo kaufen kann, nur weil seine zahlreichen Teenie-Zuschauer sich von ihm so toll unterhalten fühlen, während die Krankenschwester gerade ihren eigenen Arsch riskiert um Menschen zu helfen?
Ja, es ist okay, dass sich Montanablack den dritten Lambo kaufen kann, denn er leistet mehr als eine Krankenschwester. Auch jeder Profifussballer oder Mario Barth leisten mehr als eine Krankenschwester. Sie erzeugen eine Leistung, die einzigartig ist, Krankenschwestern gibt es viele. Ausserdem wollen wir Menschen zu Helden aufsehen und das sind heutzutage eben Montanablack, Bibi oder Mario Barth. Deshalb sorgen wir dafür, dass es ihnen gut geht und machen sie zur Elite, sowohl ökonomisch als auch kulturell.

Jede Leistung eines E-Sportlers ist mehr wert als die Leistung von Krankenschwestern oder Pflegern. Nehmen wir als Beispiel den Streamer Ninja: Hat er es verdient, dass er eine Million Dollar dafür bekommt, auf seinem Sessel zu sitzen und ein Computerspiel zu präsentieren? Ja, hat er. Das was Ninja leistet, können nur ganz wenige auf dieser Welt.

Ninja könnte Krankenpfleger lernen, aber bestimmt kein Krankenpfleger könnte das erreichen, was Ninja erreicht hat.
Gleiches gilt für sämtliche Influencer auf dieser Welt. Auch diese Menschen sind unsere Helden, zu denen wir aufschauen.
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Re: Kommentar: Luxus in der Krise

Beitrag von Progame »

c452h hat geschrieben: 23.03.2020 02:38
Gesichtselfmeter hat geschrieben: 22.03.2020 16:34 Ist es ok, dass ein Montanablack sich den dritten Lambo kaufen kann, nur weil seine zahlreichen Teenie-Zuschauer sich von ihm so toll unterhalten fühlen, während die Krankenschwester gerade ihren eigenen Arsch riskiert um Menschen zu helfen?
Ja, es ist okay, dass sich Montanablack den dritten Lambo kaufen kann, denn er leistet mehr als eine Krankenschwester. Auch jeder Profifussballer oder Mario Barth leisten mehr als eine Krankenschwester. Sie erzeugen eine Leistung, die einzigartig ist, Krankenschwestern gibt es viele. Ausserdem wollen wir Menschen zu Helden aufsehen und das sind heutzutage eben Montanablack, Bibi oder Mario Barth. Deshalb sorgen wir dafür, dass es ihnen gut geht und machen sie zur Elite, sowohl ökonomisch als auch kulturell.

Jede Leistung eines E-Sportlers ist mehr wert als die Leistung von Krankenschwestern oder Pflegern. Nehmen wir als Beispiel den Streamer Ninja: Hat er es verdient, dass er eine Million Dollar dafür bekommt, auf seinem Sessel zu sitzen und ein Computerspiel zu präsentieren? Ja, hat er. Das was Ninja leistet, können nur ganz wenige auf dieser Welt.

Ninja könnte Krankenpfleger lernen, aber bestimmt kein Krankenpfleger könnte das erreichen, was Ninja erreicht hat.
Gleiches gilt für sämtliche Influencer auf dieser Welt. Auch diese Menschen sind unsere Helden, zu denen wir aufschauen.
Ich will dir sagen, was passieren könnte:

Du bekommst Gliederschmerzen, trockenen Husten und leichtes Fieber. Du rufst den Arzt an. Der sagt dir, du sollst zu Hause bleiben, verschreibt dir ein paar Medikamente. Wenn du nen Risikokontakt hattest bekommst du vll nen Rachenabstrich fürn PCR Test.

Du hockst rum, es geht dir ganz ok, zockst und ziehst dir Freakshows rein. Die erste Woche ist immer easy.
Dann fällt dir plötzlich das Atmen schwerer und am nächsten Tag ist es so übel, dass du in's Krankenhaus gehst. Als du ankommst, sind deine Lippen blau.

Glücklicherweise sind Montanablack und Ninja schon da. Der eine will dir seinen neuen Lambo zeigen und der andere abgefahrene Tricks in Fortnite...

Dann wirst du erkennen, wie schön es ist, ne Krankenschwester zu sehen.
Zuletzt geändert von Progame am 23.03.2020 14:00, insgesamt 1-mal geändert.
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Usul
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Re: Kommentar: Luxus in der Krise

Beitrag von Usul »

c452h hat geschrieben: 23.03.2020 02:38Ja, es ist okay, dass sich Montanablack den dritten Lambo kaufen kann, denn er leistet mehr als eine Krankenschwester. Auch jeder Profifussballer oder Mario Barth leisten mehr als eine Krankenschwester. Sie erzeugen eine Leistung, die einzigartig ist, Krankenschwestern gibt es viele. Ausserdem wollen wir Menschen zu Helden aufsehen und das sind heutzutage eben Montanablack, Bibi oder Mario Barth. Deshalb sorgen wir dafür, dass es ihnen gut geht und machen sie zur Elite, sowohl ökonomisch als auch kulturell.

Jede Leistung eines E-Sportlers ist mehr wert als die Leistung von Krankenschwestern oder Pflegern. Nehmen wir als Beispiel den Streamer Ninja: Hat er es verdient, dass er eine Million Dollar dafür bekommt, auf seinem Sessel zu sitzen und ein Computerspiel zu präsentieren? Ja, hat er. Das was Ninja leistet, können nur ganz wenige auf dieser Welt.

Ninja könnte Krankenpfleger lernen, aber bestimmt kein Krankenpfleger könnte das erreichen, was Ninja erreicht hat.
Gleiches gilt für sämtliche Influencer auf dieser Welt. Auch diese Menschen sind unsere Helden, zu denen wir aufschauen.
Ich bin mir jetzt nicht sicher, ob das gut getarnte Ironie ist oder ob ernst gemeinter Unsinn.

Aber ja, natürlich hat jeder, der viel Geld mit dem verdient, was er macht, dieses Geld auch verdient, solange er niemanden betrügt oder bestiehlt. Wenn die Menschen irgendwelchen Influencern folgen, dann sei ihnen ihr Geld vergönnt.
Und NUR und AUSSCHLIESSLICH in diesem rein wirtschaftlichen Sinne ist "Jede Leistung eines E-Sportlers" (oder Fußballers oder Comedians oder Influencers oder Youtubers etc.) mehr wert als die Leistung/Arbeit von Krankenschwestern oder Pflegern. Wer ernsthaft behauptet, daß das, was Mario Barth etwa von sich gibt, wichtiger ist als das, was Krankenschwestern/-pfleger machen... sorry, mir fällt nichts ein, was nicht beleidigend wäre.
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