Mal etwas völlig ungewöhnliches und seltenes: Ein brauchbarer und wirklich guter Beitrag auf Facebook eines Nutzers:
Viele Menschen fragen mich, was sie denn konkret gegen Rassismus tun können. Ich möchte deshalb hier ein paar konkrete Tipps geben. Das sind keine „Anweisungen“, auch keine „Pädagogik aus dem juste milieu“, es ist keine „links-grün-versiffte Gutmenschenpropaganda“, sondern es sind einfach nur ein paar Gedanken, über die du nachdenken, die du annehmen oder auch verwerfen kannst.
1. Kennst du nichtweiße Menschen? Wenn nicht, frag dich bitte mal, warum das so ist. Oder weshalb es so wenige sind, die du persönlich kennst. Es ist nicht deine Schuld, denn um Schuld geht es hier nicht. Tatsache ist, dass es ja doch eine Menge nichtweiße Menschen in Deutschland gibt. Verlässliche Zahlen existieren nicht, da wir - aus guten Gründen - Menschen nicht nach Hautfarbe erfassen. Aber wahrscheinlich sind es prozentual viel mehr als in deinem Freundes- und Bekanntenkreis. Kannst du dir vorstellen, dass das schon ein wesentlicher Bestandteil des Problems ist? Was kannst du tun, um das zu ändern? Denk doch bitte mal darüber nach.
2. Wenn du jemanden kennst, der nichtweiß ist, frag ihn oder sie doch mal, nicht nur in diesen Tagen: ‚Geht‘s dir gut? Machst du rassistische Erfahrungen, und wenn ja, kann ich dir irgendwie helfen? Wenn ja, wie?‘ Allein das Zuhören, das Gespräch ist oft schon eine Hilfe - denn dann ist der/die Betroffene plötzlich nicht mehr allein.
3. Rede über dieses Thema, auch wenn du selbst weiß und nicht davon betroffen bist. Denn erst wenn viele darüber reden, etwas problematisieren, entsteht Bewusstsein, dass etwas tatsächlich ein Problem ist. Deshalb ist, auf vergleichbare Art, auch die Arbeit von Feminist:innen, Klimaschützer:innen etc. so wichtig. Sie schaffen zunächst einmal Bewusstsein.
4. Versuche mal, dich gedanklich von außen zu betrachten, mit Abstand. Da, wo du an dir selbst rassistisches Denken oder gar Handeln entdeckst (zum Beispiel, dass du in bestimmten Berufsgruppen keine Weißen oder in anderen nur Weiße erwartest), gestehe dir das ein und versuche, es zu ändern. Hinterfrage zum Beispiel Rollenbilder. Auch eine Schwarze kann Ministerin, Chefredakteurin oder Kapitänin sein. Und auch ein Weißer kann ihre Wohnung putzen. Es ist kein Naturgesetz, dass ein Müllmann immer „Ausländer“ und ein Chefarzt immer weißer Deutscher ist. Und dass beide immer Männer sind.
5. Natürlich ist nicht jede Kritik, nicht jeder Streit, jede Meinungsverschiedenheit, jede Ungerechtigkeit „Rassismus“. Klar darfst du Menschen, die nichtweiß sind, kritisieren - aber nie wegen ihrer Hautfarbe. Und natürlich darfst du Menschen mit schwarzer, brauner, rosaner Hautfarbe oder mit schwarzen, roten, blonden oder blauen Haaren unattraktiv finden. Geschmack ist bei jedem anders - aber wenn es nicht gerade um Partnerwahl geht, darf das im Miteinander keine Rolle spielen. Um hier Klarheit zu bekommen, beschäftige dich mit der Definition von Rassismus. Es geht nämlich um ein Anders-, vor allem: ein Schlechterbehandeln aufgrund der Hautfarbe. Selbstverständlich darf man zum Beispiel nichtweiße Politiker:innen kritisieren - wegen ihrer Politik, nicht wegen ihrer Hautfarbe. Letzteres wäre, genau, Rassismus.
6. Ich finde, @noa_ha_ bringt es auf Twittter auf den Punkt. Sie schreibt, bei Rassismus gehe es „nicht um Hass, sondern darum, Menschen zu dehumanisieren und ihnen ihre Würde zu nehmen. Daher heißt Anti-Rassismus nicht mehr Liebe, sondern die unantastbare Würde einer jeden zu schützen, zu stärken und dafür einzustehen“. Konkret bedeutet das: Wenn du Rassismus begegnest, versuche nicht, ihn mit „Liebe“ zu ersticken - sondern benenne ihn und fordere den Respekt vor der unantastbaren Würde ein. Was mich angeht: Ich freue mich über deine Liebe, aber die fordere ich nicht ein. Was ich sehr wohl einfordere, ist Respekt vor meiner Menschenwürde - und der aller anderen Menschen, unabhängig von Hautfarbe (und übrigens auch Geschlecht, sexueller Orientierung, Religion, Weltanschauung etc.). Du denkst, das sei selbstverständlich? Tja, erzähl das mal 13 Prozent der Wähler:innen in Deutschland (und in Wahrheit leider noch viel mehr). Also Respekt davor, dass ein nichtweißer Mensch gleichwertig ist.
7. Zeige, dass du dich gegen Rassismus engagierst. Ändere ruhig dein Profilbild, schreib „Wir sind mehr“ oder „Black Lives Matter“. Das zeigt Solidarität und hilft den Opfern von Rassismus durchaus. Aber sei dir bewusst, dass das nicht alles sein kann. Und dass das alles nichts nützt, wenn du deinen Mund nicht aufmachst, wenn jemand im Bus oder in der Bahn rassistisch angegangen wird oder wenn Polizisten (die meisten Polizisten, die ich kenne, sind nette Menschen und machen keinen einfachen Job, sie müssen oft allen möglichen Mist ertragen, ich weiß!) mal wieder einen nichtweißen Fahrradkurier anbrüllen, nur weil der kaum Deutsch versteht. Durch Brüllen wird Sprache auch nicht verständlicher. Und dass der gegen die Fahrtrichtung in der Einbahnstraße geradelt ist, ja mei, da genügt, wenn‘s denn sein muss, ein Strafzettel. Aber wir brüllen niemanden an. Auch nicht, wenn er eine andere Hautfarbe hat. Wenn du so etwas bemerkst, mische dich ein - höflich, aber bestimmt. Sage deutlich: ‚Entschuldigung, aber es gibt keinen Grund, hier laut zu werden!‘ Oder wenn im vollen Zug mal wieder nur der einzige Nichtweiße kontrolliert wird - sage gerne: ‚Sie können ruhig auch mich kontrollieren, auch wenn ich weiß bin!‘ Oder denkst du etwa: ‚Ha, wenn die Polizei DEN anbrüllt, wenn sie DEN in der Bahn kontrolliert, dann hat DER das schon verdient!‘ Wenn das so ist, muss ich dir sagen: Das ist rassistisch. Überdenke das bitte.
8. Spare dir bitte Sätze wie „Ich sehe keine Hautfarben“ oder „Für mich sind alle Menschen gleich“ - das ist gut gemeint, aber nicht gut. So etwas können nur Weiße sagen, für alle anderen ist es aber alltägliche Erfahrung, dass Hautfarben gesehen werden. Vielleicht sagst du das, um dich selbst zu vergewissern, dass du nicht rassistisch tickst. Aber damit wischst du die rassistischen Erfahrungen vieler Menschen vom Tisch. Und in vielen Fällen stimmt es eben nicht, dass du „keine Hautfarben“ siehst, und du belügst dich selbst. Es ist übrigens grundsätzlich völlig in Ordnung, Hautfarben zu sehen. Ich bin braun, du bist weiß, eine Dritte ist schwarz und ein Vierter vielleicht gelb. So what? Die Frage ist: Haben alle dieselbe Chance auf den Job, auf die Wohnung, auf den Kredit? Und nein, Menschen sind nicht „alle gleich“. Sie sind aber alle gleichwertig, und das unabhängig von ihrer Hautfarbe.
9. Wenn du mit nichtweißen Menschen zu tun hast, zum Beispiel als Lehrer:in oder als Chef:in, überlege mal, welche Vorstellung du von diesem Menschen hast - und ob du vielleicht irgendwelche Vorurteile pflegst. Ich kenne zum Beispiel einen Fall, in denen eine Deutschlehrerin zu einem Jungen mit türkischen Wurzeln sagte: „Jemand wie du kann keine Eins in Deutsch bekommen.“ Von solchen Beispielen gibt es Millionen! Wenn du auch nur ansatzweise so denkst - überdenke das bitte!
10. Es geht nicht um Sonderspielplätze für nichtweiße Menschen, nicht um „Ausländerbeiräte“ oder „Ausländerparlamente“. Sondern wir sind - seit Generationen - Teil der Gesellschaft. Wir wollen Teilhabe, Mitbestimmung, Mitsprache, mit allen Rechten und Pflichten. Wie viele nichtweiße Regierungsmitglieder haben wir eigentlich? Wie viele nichtweiße Chefredakteur:innen? Und nein, das hat nichts damit zu tun, dass es keine geeigneten Kandidat:innen gäbe - sondern damit, dass es sehr, sehr oft heißt, schön und gut, aber das gehe dann doch „zu weit“, „so einer“/„so eine“ könne solch einen Posten dann doch nicht übernehmen, „so weit sind wir in Deutschland noch nicht“. Aber wer sagt das? Denkst du das auch? Wenn ja, denk doch bitte mal darüber nach, ob vielleicht nicht diese - deine - Denkweise das Problem ist.
11. Es gibt Leute, die sagen Menschen wie mir, das sei nicht unsere „richtige“ Heimat, und wenn wir „unzufrieden“ seien und nicht „dankbar“, sollten wir doch bitte wieder „da hingehen, wo ihr herkommt“. Bitte habe Verständnis, dass niemand einem Menschen nur wegen seiner Hautfarbe (oder wegen seines Namens) sagen kann, wo seine Heimat ist. Tatsache ist: Wir sind hier. Und wir bleiben. Wenn du das als „Kampfansage“ verstehst, denk mal darüber nach, ob das vielleicht Teil des Problems ist. Denn es ist keine Kampfansage. Wenn ich sage: Ich bleibe, dann ist das schlicht die Feststellung einer Tatsache. Und es geht nicht um „Verdrängung“, sondern um Teilhabe. Um Gemeinsamkeit, nicht Ausgrenzung. Wenn du also hörst, dass jemand einem anderen sagt, er solle da hingehen, wo er herkomme, mische dich ein.
12. Überhaupt: Mache überall deinen Mund auf, in den „sozialen“ Medien, in Internetforen, an deinem Arbeitsplatz, in Bus und Bahn, bei der Familienfeier. Scheue die Auseinandersetzung mit Rassisten nicht. Ja, der Kampf gegen Rassismus erfordert Mut, Zivilcourage, manchmal geht man ein Risiko ein. Klar könntest du den Konflikt, das Risiko vermeiden. Nichtweiße Menschen haben diese Wahl nie. Sie sind dem Rassismus ausgesetzt. Also unterstütze sie wenigstens. Und sei aufmerksam. Starre nicht ständig auf dein Handy oder dein Tablet, sondern schau dich um. Nimm deine Umgebung wahr. Sieh, wie Menschen miteinander umgehen. Und misch dich ein, wenn es sein muss. Und es muss viel öfter sein, als du dich bisher einmischst.
Auch in Deutschland gibt es riesige Proteste gegen Rassismus, bei denen nicht überall Abstand eingehalten wird. Die Corona-Krise gibt es weiterhin, den Leuten scheint es, hier wie in den USA, wichtiger zu sein, gegen Rassismus auf die Straße zu gehen. Ich schätze auch, Medien nehmen dies mit Freuden auf, um über etwas anderes als wochenlang Corona zu berichten. Gemahnt vor dem Virus wird auch weiterhin, sich bei den Demos an die Regeln zu halten. Was auch weiterhin notwendig ist, besonders in den USA.
Der Vergleich mit Ausschreitungen und unbewaffnete Schwarze 2020 verkürzt aber sehr stark, bis ein falsches Bild entsteht. Ich möchte dir keine Absicht zu Desinformationen bzw. Verklärung des Problems unterstellen, aber dein Beitrag bringt einen guten Schwung mit sich.