SeriouslySimon hat geschrieben: ↑19.06.2020 16:57
Lieber Jörg,
ich kann deine Enttäuschung nachvollziehen. Viele Stunden Arbeit, gewissenhaft in einen Test investiert und sich dann anhören müssen, man wäre gekauft, hätte sich keine Mühe gegeben etc. - das schmerzt.
Die niemals endende Debatte über Subjektivität bei Spieletests. Aus deiner Sicht ist das Spiel auf dem Punkt, stellt das dar, was es darstellen will, ist künstlerisch wertvoll.
Vielleicht ist es all das auch, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Was du leider verkennst, ist die Tragweite der Geschehnisse hinter den Kulissen.
Du weißt selber, dass viele "Gamer" übers Ziel hinausschießen, wenn es um fundierte Kritik geht.
Sie sind emotional, sie lassen sich von Memes, Hetze etc. beeindrucken und leicht beeinflussen. Es stimmt.
Doch die andere Seite, die du leider völlig ignorierst, ist auch da.
Neil Druckman. Der Mann, der sich als Bekehrter wahrnimmt.
Der endlich erkannt hat, dass halbnackt dargestellte Frauen nur Sinnbild für Misogynie sein können und keinen Anspruch darauf haben zu existieren, in seiner Welt.
Nun, ich, gebe dir Recht.
Es liegt innerhalb seiner künstlerischen Freiheit, Frauen so darzustellen, wie er es möchte.
Das schließt nicht aus, dass diese Charaktere genauso interessant sein können, wie die überzeichneten Charaktere in anderen Spielen. Letztlich ist es doch egal, wie ein Charakter aussieht, es geht darum was er oder sie verkörpert, welche Rolle innerhalb der Geschichte eingenommen wird.
Leider sieht Neil genau das anders. Und spätestens als er sich mit Heuchlerin und Profi Opfer Anita Sarkeesian zusammentat, war den Spielern klar, in welche Richtung TLOU2 gehen würde.
Frauen sind vor dem ewig drohendenden Sexismus der weißen Männer zu beschützen, sie müssen gestärkt werden. Wenn das heißt, eine Frau in das Idealbild eines Mannes zu quetschen, dann ist das so. Während gleichzeitig das Bild des uneinsichtigen alten weißen Mannes gezeigt wird, der seine unverdiente Machtposition einfach nicht aufgeben will und auf jeden Fall auf der falschen Seite steht.
Es ist ein regelrechter Krieg ausgebrochen, zwischen Machern und Konsumenten. Die Vorwürfe von denen, die die Spiele kaufen sollen und sie genießen wollen, sind zahlreich, nicht immer durchdacht und oft unfair, ja.
Doch die Reaktionen der Macher? Blindes Bannen von Kritik? Der Versuch, Kommentatoren, die über die Spoiler sprechen wollten ohne diese zu zeigen, permanent mundtot zu machen? Mitarbeiter von Naughty Dog, die auf Twitter darüber philosophieren, dass "weiße untalentierte Boys" nicht immer so "gehyped" werden sollen in der Branche?
Gut bezahlte Sprecherinnen, die jegliche Kritik von Spielern als "Bots" abstrafen?
All das ist leider zutiefst politisch und ideologisch motiviert. Es ist das progressive Denken, welches aktuell nur so zu funktionieren scheint, alles vorher Dagewesene verteufeln zu müssen, anstatt es in Frage zu stellen.
Wer nicht mitzieht, ist ein homophob, transphob, bigot, alt-right nazi etc.
Es sind immer die gleichen Plattitüden aus dem Lager zu hören und lesen, mit denen jede Art von Kritik abgeschmettert wird.
Das sind die Hintergründe, weshalb viele Spieler das Spiel ungespielt verteufeln, weil sie sich angegriffen fühlen, vorverurteilt, moralisch belehrt, von Menschen , die selbst keine Scheu davor haben, andere aufgrund von Hautfarbe oder Sexualität niederzumachen, sich aber immer darstellen, als hätten sie den moralischen Trumpf in der Tasche und wären damit auf der "richtigen" Seite.
Für mich persönlich, als jemand der versucht zwischen den Lagern zu bleiben, kann ich die Spieler, trotz der oft massiv überzogenen und ungerechtfertigten Kritiken, doch eher verstehen, als die Macher.
Die, deren einzige (herausfordernde) Aufgabe es ist, eine interessante Geschichte darzustellen, die jeden zum Nachdenken bringt, ohne zu versuchen, Lager in Gut und Böse einzuteilen.
Ich kann am Ende nur hoffen, dass wir doch etwas Lernen werden und am Ende wieder die Spiele und nicht das Drumherum in den Fokus rücken können.