Niemand hat gesagt, dass eine Kritik offen eine Weltanschauung vertreten sollte, obgleich sie das implizit natürlich immer irgendwie tun mag - was allerdings an anderer Stelle zu diskutieren wäre. Es geht nicht darum, dass hier eine marxistische, antimilitaristische oder profeministische Sicht vertreten werden muss, es geht darum, dass mancher offenkundig ideologisch aufgeladener Kunstgegenstand als solcher zu benennen ist. Auf einige WWII-Shooter trifft das Prädikat kriegsverherrlichend und/oder militaristisch ganz klar zu. Man mag ja die Begriffe anstößig finden, da sie normalerweise auch mit einer moralischen Einordnung verbunden sind, aber wer mag wirklich bezweifeln, dass es sich bei einem Spiel, bei welchem man gebetsmühlenartig einen anonymisierten Feind per Schusswaffe erledigt, ohne dass es irgendeine tiefere Beschäftigung mit dem Thema Krieg und Gewalt gibt, um eines handelt, das einer gewissen plumpen und überwunden gehofften Weltsicht frönt. Noch einmal: man mag die Benennung unschön finden und sich zugleich moralisch abgeurteilt sehen. Das Aufgedeckte der Kritik bleibt jedoch ersichtlich und auch gerechtfertigt, ohne dass man sich zugleich auf einem überlegenen anderen Standpunkt vermutet. Nüchterne Kritik, so nennt man das wohl. Ob irgendjemand diese zu verstehen in der Lage ist, ist wieder eine andere Frage und gehört an Bildungseinrichtungen.Howdie hat geschrieben: Jeder Volljährige, der dieses Spiel spielt und nicht in der Lage ist eine klare Position für sich zu finden, würde auch eine derartige Kritik in einem Test überhaupt nicht verstehen. Das ist kein Schutz der perönlichen Freiheit und auch kein gesunder Umgang mit dem Thema Krieg: Es wäre schlicht und einfach Bevormundung durch die Medien und das kann ich unmöglich akzeptieren. Ich bin über 30, kann differenzieren, bin politisch gebildet und muss mich jeden Tag gegen die Beeinflussung der Medien wehren. Alle Nachrichten, Zeitungen und Internet-News versuchen mir ihre Meinung zu einem Thema aufzuzwingen.
Wenn jeder Mensch, der über 30 ist, einen umfassenden Überblick über politische Prozesse hätte und über ein Differenzierungsvermögen sondergleichen verfügte, dann bräuchten wir keine Kritik mehr, zumindest keine in der gekannten und praktizierten Form wie in den Kunstwissenschaften. Die Wirklichkeit gesellschaftlicher Unzulänglichkeiten zeigt jedoch etwas anderes. Zudem sind Fachexperten, und das sind Kritiker zumeist, vonnöten, bestimmte verdeckte Aspekte aufzudecken und das Sehen der Rezipienten zu lenken. Niemand versucht, jemanden anderes zu bevormunden, bei Kritik geht es auch darum, Deutungen aufzuzeigen, mit welchen jeder einzelne leben oder ebendiese zurückweisen muss. Vielleicht mag es andere Journaille geben, die sich mit größtmöglicher Brachialität in die Köpfe der Menschen zu schlagen versucht, aber darüber redet doch niemand.
Fazit: eine nüchterne Analyse der Sachzusammenhänge entspricht nicht der persönlichen politischen Ansicht des Analysten. Ein guter Kritiker ist sich seiner schwierigen Rolle zwischen sachlicher Zerlegung und Eigeninterpretation auf Basis eigener weltanschaulicher Überzeugungen und einleuchtender Argumentation bewusst. Ein schlechter Kritiker mag das vergessen. Jemand, der lediglich den oberflächlichen Glanz irgendeiner Produktion an- und dabei den Inhalt übersieht, ist nichts von beiden und er hat soviel mit Kritik zu tun wie Käse mit Käsekuchen.