mehlwyrm hat geschrieben: ↑06.03.2021 10:04Ein Mann der Hormontherapie macht, hat ja in vielen Fällen immer noch den Hoden der Androgene produziert. Nur weil die Werte weiblich sind ist es der Rest noch nicht.
Oh, du sprichst von "Mann". Misgenderst also trans Frauen eindeutig. Dann ist ziemlich klar, wo du da stehst. Denn Männer machen ja keine Hormontherapie, außer eben, man meint damit trans Frauen, die man so bezeichnet.
Und du irrst dich, wenn du annimmst, dass trotz weiblicher Hormone die Hoden weiterhin Testosteron produzieren bei trans Frauen. Das ist, was ich mit Halbwissen meine. Oder in diesem Fall sogar klarem Nichtwissen. Die Testosteronproduktion hängt von der vorhandenen Estradiolmenge im Blut ab, weil Estradiol als Indikator fungiert, wie viel Testosteron produziert werden soll. Daher senkt sich die Testosteronproduktion automatisch ab, wenn der Estradiolspiegel auf ein bestimmtes Niveau steigt. Deswegen wachsen im Übrigen auch vielen Frauen "Damenbärte" nach den Wechseljahren, weil der Estradiolspiegel sinkt und dadurch das Testosteron steigt. Die männliche Testosteronproduktion wird auch darüber geregelt, denn ein gewisser Teil von Testosteron wird über Aromatase in Estradiol umgewandelt, wodurch auch bei Männern mit mehr Testosteron auch mehr Estradiol abfällt und dadurch die Produktion ab einer gewissen Menge gedrosselt wird. So stellt sich die individuelle Menge ein, die ein Mann produziert. Damit wird auch vor allem eines klar: Männer und Frauen funktionieren hier identisch, weil sie sich da eben gar nicht so sehr unterscheiden. Cis Frauen produzieren weniger Testosteron, weil sie mehr Estradiol produzieren durch die Eierstöcke und natürlich auch, weil sie keine Hoden haben. Cis Männer produzieren deshalb mehr Testosteron, weil sie weniger Estradiol haben, weil sie keine Eierstöcke, aber Hoden haben. Durch eine künstliche Erhöhung des Estradiolspiegels wird die Testosteronproduktion gedrosselt und ein weibliches Estradiolniveau führt zu einem weiblichen Testosteronniveau, auch trotz Hoden. Mal abgesehen davon gibt es auch Testosteronobergrenzen beim Sport.
Tja, das sind so die kleinen Dinge, die man dann nicht auf dem Schirm hat, wenn man sich dieses transphobe Gedankengebäude über trans Personen aufbaut.
Männer und Frauen sind nicht diese sich gegenseitig ausschließenden Wesen, sondern im Prinzip baugleich und unterscheiden sich lediglich aufgrund ihrer Hormonhaushalte. Ich habe eigentlich keine Lust, jetzt wieder die komplette Entstehung von Menschen herunterzubeten. Ne, mache ich aus diesmal nicht. Möchte meinen Samstag lieber anderweitig nutzen. Oder ich zitiere einfach mein früheres Ich dazu:
Für alle, die meinen, sie hätten hier mit Chromosomen ein unschlagbares Ass im Ärmel: Das zweite X-Chromosom wird bei XX unterdrückt, ansonsten wäre es tödlich. Das Y-Chromosom ist lächerlich klein und spielt nach der Geburt praktisch keine Rolle mehr. Im Wesentlichen funktionieren also alle Menschen mit einem X-Chromosom. Wie ich schon schrieb ist das Y-Chromosom vor allem dazu da, über das darauf befindliche SRY-Gen die Entwicklung von Hoden anzustoßen. Alles weitere hängt dann von den Keimdrüsen (Hoden und Eierstöcke) produzierten Hormonen ab, Testosteron und Estradiol ("Östrogen"). Diese Hormone sorgen für unterschiedliches "Auslesen" der Gene (Genexpression genannt). Was Mann und Frau also physiologisch betrachtet vor allem unterscheidet, sind ihre Hormone und nicht ihre Gene.
Brüste bilden sich bei allen Menschen durch Estradiol. Brustbehaarung bildet sich bei allen Menschen durch Testosteron. Einer Frau wächst durch ausreichend Testosteron ein Bart und sie kommt in den Stimmbruch. Das Kopfhaar fällt ihr ggf. genetisch bedingt (aha!) aus. Bestimmte Dinge sind nach einer einmaligen Entwicklung irreversibel, wie der Knochenbau, der Bartwuchs oder der Stimmbruch. Auch können aus Eierstöcken keine Hoden mehr werden und umgekehrt. Vieles lässt sich aber nachträglich ändern. Der ganze zelluläre Ablauf, Blutgefäße, Haut, Brustwachstum, Haarwachstum, Fettverteilung, Einfluss auf die Psyche - das sind alles Dinge, die im Rahmen einer Hormontherapie verändert werden. Das passiert alles, weil eben die Gene abhängig von den primären Geschlechtshormonen unterschiedliche Instruktionen ausgeben. Wenn man damit noch vor der Pubertät ansetzt, entwickelt sich der Körper komplett in die gewünschte Richtung. Trans Mädchen kommen so nie in eine männliche Pubertät und bilden auch vollständig weibliche sekundäre Geschlechtsmerkmale aus. Bekanntes Beispiel ist die Musikerin Kim Petras.
Vor diesem Hintergrund sollte einleuchten, dass ein (soziales) Festnageln von Menschen auf ein bestimmtes Geschlecht anhand eines Chromosoms völlig absurd ist. Diese Vorstellung von den völlig unterschiedlichen sich gegenseitig ausschließenden Geschlechtern ist wissenschaftlich betrachtet totaler Mumpitz. Das existiert nur als absolut unzureichende Vorstellung in den Köpfen der Bevölkerung, die keine Ahnung hat, welche Gene konkret involviert sind, die nichts von Epigenetik weiß und auch meist nicht mal zwischen Chromosomen und Genen unterscheidet.
Und wer meint, sich hier auf eine "rein objektive" und "wissenschaftliche" Position zurückziehen zu können, indem er meint, dass es ja nur um die Benennung von "Fakten" ginge und nicht um gesellschaftliche Stigmatisierung, dem sei gesagt: Genau solch ein Verhalten ist verantwortungslos und ignorant. Denn es sind genau diese Aussagen wie "XY = männlich, XX = weiblich, basta", die den Nährboden für Diskriminierung bereiten. Das ist die Munition, die transphobe Menschen verschießen. Geschlecht ist einfach mehr als ein verdammtes Gen.
mehlwyrm hat geschrieben: ↑06.03.2021 10:04Am Ende, ich finde das ist eine Realität der wir uns stellen müssen, sind Transfrauen/männer zunächst eben nicht das. Sie werden als Männer/Frauen großgezogen, entwickeln das Mindset von Männern und Frauen auch wenn sie sich darin nicht wohl fühlen.
Sie werden nie die Erfahrungen als Kinder/Jugendliche/junge Erwachsene der anderen Seite machen.
Interessant, was du hier unterstellst. Vor allem dass du davon ausgehst, dass trans Personen immer eine falsche Pubertät durchlaufen und erst später transitionieren. Das ist ja gar nicht immer so. Schau dir Kim Petras an. Und das sollte auch gerade in Zukunft immer mehr der Normalfall werden, wenn die Gesellschaft Transsexualität nicht tabuisiert und darüber aufklärt. Dann können Kinder das schon frühzeitig äußern und Unterstützung erhalten, sodass eben dieses klassische Bild vom "Mann in Frauenkleidern" auch endlich aus den Köpfen der Leute verschwindet. Aber warte, dann heißt es ja wieder, da werden Kinder einfach "trans gemacht" von ihren Eltern oder ihrer Umwelt ("Frühsexualisierung") und das müsse man ja verhindern. Brauchen wir gar nicht weiter drüber diskutieren.
Das mit dem "Mindset" ist interessant. Das schlägt ja in dieselbe Kerbe, die auch von TERFs beackert wird. Sie nennen es Sozialisation, die eine trans Frau (für sie Mann) für immer und irreversibel als Mann präge und dass sie daher auch für immer innerlich wie ein Mann "ticken" würde. Wow, das ist so richtig widerliches Zeug. Das sind so schöne Totschlagargumente, ähnlich wie Chromosomen oder "angeborene" Genitalien. Das dient alles nur dem Zweck, eine Unentrinnbarkeit zu zementieren. Vor allem aber ist das in diesem Fall nicht mal ein "biologischer Fakt™", sondern bloße Unterstellung, auch wie trans Personen aufwachsen. Das sind halt Vorurteile und Klischeevorstellungen. Vor allem ist diese Argumentation auch in sich widersprüchlich. Auf der einen Seite wird behauptet, da gäbe es keine Unterschiede und das wäre alles bloß Einbildung, aber auf der anderen Seite ändert Sozialisation dann alles. Na gut, dann passen wir in Zukunft auf diese Sozialisation auf, dass so ein "Mindset" bei trans Personen nicht entsteht. Ach Mist, das würde ja gar nichts bringen. Weil dann ja sofort wieder jemand mit Chromosomen um die Ecke käme.
Okay, ehe ich jetzt wirklich in den Sarkasmus abdrifte: Es ist doch alles nur vorgeschobenes Gelaber, um trans Personen irgendwie für ungültig zu erklären. Fällt ein Argument flach, wird das nächste bemüht. Brauchen wir nicht weiter drüber reden. Habe ich keinen Bock mehr drauf.
mehlwyrm hat geschrieben: ↑06.03.2021 10:04Oder umgekehrt, meinste nicht, dass viele Männer in unserer Erfolg und Leistungsorientierten Gesellschaft es sich leichter machen wollen um eben Zutritt zu Gehälter und Positionen zu erlangen?
Tatsächlich nicht. Ich halte das für absurde Panikmache. Und außerdem könnte man dann, falls so etwas passieren sollte, darauf eingehen, anstatt schon im Vorfeld zu 100 % sicherstellen zu wollen, dass das auch niemals passieren kann.
Randall Flagg hat geschrieben: ↑06.03.2021 11:11Mit der gleichen Argumentation könnte man auch gendergerechte Sprache einfach in die Tonne kloppen bzw. Symboliken wie *, : und _. Das leidige Inklusionsthema, Betrifft halt am Ende auch nur sehr wenige Menschen. Prozentual gesehen wahrscheinlich nicht einmal Menschen im Promillebereich.
Nein, das Problem ist einfach, dass anhand solcher vorgeschobener Extremfallbeispiele ganze Gruppen infrage gestellt werden. Man sucht sich irgendeinen Randfall heraus und will dann darüber die ganze "Transgender-Frage" klären. Aber das passiert doch mit einer klaren Absicht. Wenn nicht von dir, dann von denen, die das in Umlauf bringen, damit jemand wie du es aufgreift. Niemand spricht über den Alltag, über das, was uns alle irgendwie betrifft. Das fällt schon auf. Es wird entweder total akademisch über irgendwelche Chromosomen gesprochen oder über irgendwelche Grenzfälle. Und immer irgendwie abstrakt, ohne die Menschen dahinter zu sehen. Mir ist völlig klar, dass dahinter Methode steckt.
Ich höre jetzt auch damit auf, hier weiter Leute überzeugen zu wollen, die eh nur nach Argumenten suchen, um ihre festgefahrene transphobe Meinung zu vertreten. Irgendein Haar in der Suppe wird da immer gefunden, warum trans Personen "eigentlich" nicht "wirklich" das Geschlecht hätten, das sie sich zuschreiben. Solange es nur darum geht, das irgendwie auf Teufel komm raus zu belegen, brauchen wir nicht weiterreden.
PS: Ich diskutiere auch nicht über das Geschlecht von trans Personen. Das steht nicht zur Debatte. Ich versuche aufzuklären, aber das funktioniert nur, wenn es jemandem nicht primär darum geht, das Geschlecht von trans Personen anzuzweifeln.